Auch hier hilft das Internet

Auch hier hilft das Internet

Eine Seite, die mir auf Anhieb sympathisch ist, nennt sich “My Virtual Model”. Für alle Frauen, die früher exzessiv mit der Barbie gespielt haben, geht hier ein Traum in Erfüllung: Man selbst wird zur Barbie. Auf der Seite kann ich ein Model personalisieren. Dafür gebe ich meine Körpergröße, mein Gewicht (Vorsicht, das Programm korrigiert zu niedrige BMIs!) und einige weitere Angaben zu meiner Figur ein (dauert 5 Minuten). Bevor ich dazu komme, an meinem “eigenen” Körper Kleidung anzuprobieren, halte ich mich noch eine Weile mit meinem virtuellen Erscheinungsbild auf (mit Unterbrechungen bestimmt zwei Stunden). Wie würden mir kurze Haare stehen? Eine Körbchengröße größer? Eventuell vollere Lippen? Ich kann mein Model altern lassen (entscheide mich jedoch dagegen) oder ein Porträtfoto von mir hochladen und in die Figur einbauen (dauert 12 Minuten).

Es handelt sich dabei um eine sehr pfriemelige Angelegenheit mit fürchterlichem Resultat: Meine Haut ist heller als die meines makellosen virtuellen Körpers. Insgesamt ist die Kleidung auf der Seite leider unspektakulär: H Speedo, Adidas und einige amerikanische Marken wie Sears, Lands’ End oder Best Buy. Auch wenn mich die angebotenen Kleidungsstücke nicht zum Kauf bewegen, so macht es doch einen Heidenspaß, sie anzuprobieren. Bei mangelnder Vorstellungskraft kann ich sogar die Hintergründe austauschen: Strand zum Bikini, Ballsaal zum Abendkleid, Eiffelturm zum Tagesoutfit.

Endlich kann ich Dinge ausprobieren, von denen ich nicht mal ahnte, dass ich sie ausprobieren wollte: ich im gelben Badeanzug und in High Heels, dazu mein zu heller Kopf in einer Bibliothek. Großartig! (Dauer: 30 Minuten). Werwill, kann das erst mal an einem “Weight Loss Simulator” ausprobieren, bevor er zur Tat schreitet. Dafür gibt man sein aktuelles Gewicht und sein Wunschgewicht ein. Ein wirklich amüsantes Spielzeug. Bei “My Virtual Model” ist man also schon nah dran am ComputerKleiderschrank aus dem Film “Clueless”, nur dass man die Sachen von der Website nicht tatsächlich im reellen Kleiderschrank findet und sie einem erst recht nicht vollautomatisch herausgesucht werden. Bilanz: Nutzfaktor: gering. Aber Spaßfaktor: hoch.

Auf “Size Me Up” dreht sich alles um BHs und Brüste. Hier erfahre ich, dass 70 bis 85 Prozent aller Frauen die falsche BHGröße tragen. Dr. Edward Pechter (Initiator der Website) rät deshalb zu der korrekten Brustvermessung, die nur mit seiner speziell dafür entwickelten Größentabelle funktioniert. Diese kann man für 12,99 Dollar bestellen. Ein Teil des Erlöses soll an die Wohltätigkeitsorganisation “Sheila R. Veloz Breast Imaging Center” wandern, doch erscheinen mir Dr. Pechters Machenschaften nicht ganz koscher. Nähere Recherche zeigt: Die Institution ist ein Service des “Henry Mayo Newhall Memorial”Krankenhauses in Valencia, Kalifornien. Dort arbeitet Dr. Pechter als plastischer Chirurg (aha!).

Auf der Website wird behauptet, dass sogar 90 Prozent aller Frauen die falsche BHGröße tragen. Die Lösung zu allem bel auch hier: Lassen Sie sich korrekt vermessen. Ein Link führt, wer hätte das gedacht, geradewegs zu Dr. Pechters “method of measuring”, wo uns fünf Fotos von schlecht sitzenden BHs gezeigt werden: Brüste hängen schlaff in zu großen Körbchen, andere quellen oben, unten oder gar seitlich hervor, Träger schnüren ein und BHs ziehen sich im Rücken hoch (bekannt unter dem Begriff “riding up syndrome”).

Dazu werden traditionelle BHProbleme aufgelistet: BH lässt Brüste spitz erscheinen, Brüste knittern, Fett wölbt sich aus dem Rückenband, oder Klumpen bilden sich oberhalb der Körbchen. Ich denke, um solche Probleme zu verhindern, bedarf es keiner Vermessungstabelle. Ein gesundes Auge und ein gewisses Maß an ästhetischem Empfinden dürften ausreichen, um niemals mit solchen Problemen in Berührung zu kommen. Doch mein Interesse an Dr. Pechter ist geweckt: Er weist einen großen Katerkopf auf und sieht dubios aus. Ein Typ, dem man ungern seine Brüste anvertraut.

Der Spezialist für Brustoperationen hat unter anderem den “Helium Balloon Lift Effect” erfunden. Für die Recherche seiner Größentabelle ließ er Patientinnen vor, während und nach den OPs verschiedene Modelle anprobieren. Auf “Size Me Up” behauptet Dr. Pechter, er habe nach intensiven Forschungen herausgefunden, dass eine 36 C einen größeren Cup habe als eine 34 C, jedoch einen kleineren als eine 38 C (Wahnsinn!). Statt 12,99 Dollar sollten Sie also lieber etwas Zeit beim BHKauf investieren.

ber 15.000 Labels und Shops sind auf der Website registriert, mitunter auch ausgefallene Marken wie Pierre Hardy und Guilded Aged. Meine heiß geliebten, aber außerhalb der USA schwer auftreibbaren “Justin Boots” findet “The Label Finder” jedoch leider nicht.

Die Seite gibt es aber auch erst seit 2006 und befindet sich noch im Aufbau. Zurzeit konzentriert man sich maßgeblich auf Berlin, doch findet man viele Informationen auch deutschlandweit, teilweise lässt sich sogar schon weltweit nach Labels und nächstgelegenen Shops suchen. Sie können auch individuelle Einkaufsrouten planen. Für Pragmatiker wie Hektiker eine feine Sache.

Jeder kennt es: Man betritt mit einem Stapel Jeans eine Umkleidekabine und verlässt das Geschäft mit leeren Händen. Das ZafuTeam hat über Jahre Hunderte von Jeans an unterschiedlichen Frauen fotografiert und eine “Body Shape Library” aufgebaut.

Um einen Vorschlag für eine optimale Jeans zu erhalten, muss ich mich einem Test unterziehen (dauert acht Minuten). Beim bevorzugten Stil der Jeans wird es kniffelig: Ich soll mich zwischen Kategorien wie “Ghetto Fabulous”, “Glam Rock” oder “Power Broker” entscheiden. Ich wähle “It Girl”. Mir werden 20 Modelle vorgeschlagen, darunter ein Modell (Citizen of Humanity), das mir tatsächlich sehr gefällt. Klicke ich es an, werde ich auf die Websites von Nordstrom und Saks Fifth Avenue verwiesen. Dort kann ich die Hose bestellen. Im Forum jubelt eine Kundin: “Die beste Jeans, die ich je gekauft habe.” Zafu sei Dank!

Bei “Figurous” tippt man die Strichcodeziffern der Etiketten frisch gekaufter Kleidung ein. Die Website erstellt dann einen eigenen virtuellen Kleiderschrank. Außerdem macht sie künftig Vorschläge nach meinem Geschmack. Fehlkäufe sollen sich mit “FigurousNachbarn” tauschen lassen. Zuerst muss ich mir einen GoogleAccount anschaffen (dauert fünf Minuten) und meine Altpapiersammlung durchforsten (dauert 15 Minuten).

Bei einem HugoBossEtikett spuckt mein Computer brav ein paar Informationen zum Hersteller aus. Auf eine ZaraJacke reagiert er unwirsch: “Error Code: 5 Country not a member of GS1”. Recherche ergibt: GS1 ist das Gleiche wie GEPIR, das für “Electronic Party Information Registry” steht, eine Party, auf der man mich offensichtlich nicht mittanzen lassen will. Bei einer AcneJeans und einem COSSchal läuft es nicht besser. Angeblich hilft es einem, sich besser anzuziehen. Zuerst muss ich den kompletten Inhalt meines Kleiderschranks fotografieren. Nach der Hälfte (Dauer: zwei Stunden) stelle ich mir existenzielle Fragen: Wer bin ich? Wieso braucht ein Mensch 29 Gürtel? Ist es denn eigentlich noch oder wieder verboten, einen Hut aus Ozelot zu besitzen?

Die fotografierte Kleidung kann ich nach Themen sortieren: Sommer oder Winter, Accessoires oder Schuhe, elegant oder sportlich. Bei der OutfitSuche kann ich dann filtern: etwa “nur Sommersachen suchen”. ber der Option “Outfit erstellen” ist eine Holzpuppe abgebildet. Ich stelle mir vor, dieser nun meine eigenen Klamotten überzustülpen. Leider reiht die Funktion lediglich Bilder aneinander, eine Puppe zum Anziehen gibt es nicht. Dafür die Option “Wunschtüte”, in der man Dinge, die man gern besitzen würde, horten kann. Auf einem Notizblock lassen sich Erinnerungen wie “Socken kaufen” vermerken. Es wundert mich nicht, dass “Cool Guy” für Männer konzipiert wurde. Welche Frau braucht schon einen solchen Erinnerungszettel im Telefon, wo wir ihn doch im Gehirn installiert haben?

Schließlich kann ich mit dem Programm virtuell meinen Koffer packen, es verrät mir jedoch nicht den Status meiner Kleidung wie “befindet sich in der Wäsche”. Der Koffer lässt sich also mit “Cool Guy” auch nicht schneller packen. Ganz zu schweigen von den Stunden der Beschäftigung mit virtueller Kleidung. Weitere Informationen, insbesondere darüber, ob und wie personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet werden, finden Sie in unseren DatenschutzbestimmungenDie Moderation der Kommentare liegt allein bei DIE WELT. Allgemein gilt: Kritische Kommentare und Diskussionen sind willkommen, Beschimpfungen / Beleidigungen hingegen werden entfernt. Wie wir moderieren, erklären wir in der Nutzungsbedingungen.