China taumelt Finanz

China taumelt Finanz

Sie flüchten. Über Nacht. Plötzlich sind die Unternehmer weg, ihre Fabrik bleibt zurück und die Arbeiter stehen vor verschlossenen Toren. Massenhaft ereignet sich dies seit einigen Wochen in der chinesischen Stadt Wenzhou, rund 350 Kilometer südlich von Shanghai gelegen. Im August und September allein 40 Mal. Der Grund für die Flucht: Die Unternehmer können ihre Kredite nicht mehr bezahlen.

Das wäre normalerweise ein Anlass für Scham oder Wut, aber nicht für ein Untertauchen. Doch die Firmeninhaber stehen bei privaten Kreditgebern in der Kreide, die ihr Geld über illegale Untergrundbanken verleihen. Diese spinnen sich in einem riesigen Netz durchs ganze Land – allein in Wenzhou sollen sie Kredite im Volumen von 120 Mrd. Yuan (rund 13,6 Mrd. Euro) vergeben haben. Und dieses System bricht dieser Tage zusammen. Da gleichzeitig auch das offizielle Bankenwesen Chinas in heftigen Turbulenzen steckt, könnte dies in einem Schneeballeffekt zu einer Finanzkrise in dem Land führen, die solche Ausmaße hätte, dass das Griechenland-Problem im Vergleich dazu ein Sonntagsspaziergang gewesen wäre. Die Regierung hat daher in den vergangenen Tagen hektische Maßnahmen ergriffen – ob sie helfen, darf bezweifelt werden.

Es begann alles mit dem Verschwinden von Wang Xiaodong, einem bekannten Unternehmer aus Wenzhou, der eine Wagniskapitalfirma besaß. Er soll sich über das Netz der Untergrundbanken rund 1,2 Mrd. Yuan (360 Mio. Euro) geliehen haben. Mitte Juli tauchte er unter, da er seine Kredite nicht mehr bedienen konnte – und seither gehen in einem Dominoeffekt reihenweise andere Unternehmen in der Stadt Pleite. Denn einer Umfrage der Zentralbank zufolge sind rund 60 Prozent der Firmen und Privathaushalte Wenzhous in das System der privaten Kreditvergabe verwickelt.

Sie legen ihr Geld dort an, weil sie damit wesentlich höhere Zinsen verdienen können. Bei den offiziellen Geschäftsbanken sind diese gesetzlich festgelegt und im Vergleich zur hohen Inflationsrate sehr gering. Die Untergrundbanken verlangen von den Kreditnehmern dagegen Zinsen von bis zu 60 Prozent. Manchmal leihen sich Firmen auch Geld von offiziellen Banken und verleihen es dann zu höheren Zinsen illegal weiter, teilweise sind sogar staatliche Funktionäre in das Geschäft verwickelt.

Viele kleine und mittlere Unternehmen sind jedoch auf diese Kredite angewiesen. Denn von den offiziellen Geschäftsbanken erhalten sie oft kein Geld mehr. Diese müssen sich seit einigen Monaten auf Geheiß der Regierung bei der Vergabe neuer Kredite drastisch beschränken. Auf diese Weise soll die Inflation – im September lag sie bei 6,1 Prozent – eingedämmt werden. Große Firmen kommen zwar weiter an Geld, sei es aufgrund ihrer Beziehungen, oder weil sie es sich an den Börsen besorgen. Die Kleinunternehmer dagegen, die in Wenzhou besonders stark vertreten sind, sind in der Kreditklemme gefangen und müssen auf die teuren Untergrundbanken zurückgreifen. Nun bricht dieses System zusammen und Millionen Chinesen drohen heftige Verluste.

Doch damit nicht genug. Auch die offiziellen Geschäftsbanken stehen unter Druck. Seit Monaten stehen sie im Verdacht, mit riesigen Summen an faulen Krediten zu kämpfen. Grund ist, dass sie 2009 Hunderte von Großprojekten der Regionalregierungen finanziert hatten. Diese Projekte waren entscheidend dafür, dass China die Finanzkrise so schnell hinter sich ließ. Doch die Verbindlichkeiten daraus belaufen sich nach offiziellen Angaben auf 10,7 Billionen Yuan (1,2 Billionen Euro), davon werden etwa 40 Prozent in diesem Jahr fällig. Viele der regionalen oder kommunalen Schuldner dürften jedoch kaum in der Lage sein, das Geld zurückzuzahlen. Das würde zu riesigen Löchern in den Bilanzen der großen Banken führen.

Und schließlich droht dieser Tage auch noch die Immobilienblase zu platzen. In 16 von 70 Städten fielen die Preise für neue Wohnungen im August gegenüber Juli. Deshalb haben sich viele Immobilienentwickler in den vergangenen Monaten schon darauf verlegt, in Gewerbeflächen zu investieren – mit der Folge, dass dort inzwischen auch ein Überangebot herrscht und die Renditen, die mit solchen Immobilien zu erzielen sind, immer weiter gesunken sind.

Gleichzeitig versucht die Regierung seit fast zwei Jahren, die Preisexplosion am Immobilienmarkt unter Kontrolle zu bringen, indem sie die Kreditvergabe einschränkt. Das führt aber nur dazu, dass sich Immobilienentwickler und -käufer andere Geldquellen suchen – auch und gerade die Schattenbanken. So hatte auch der flüchtige Wang Xiaodong den Großteil seines Geldes in Immobilienprojekte investiert. Die stagnierenden Preise brachen ihm finanziell das Genick. Das wiederum lässt das System der Untergrundbanken zusammenbrechen, was dann in einem Teufelskreis wieder auf den Immobilienmarkt zurückschlägt.

Die Pleite eines einzelnen Unternehmers aus Wenzhou droht damit also das ganze Land in die Tiefe zu reißen. Doch sein Bankrott war letztlich nur die Folge der Tatsache, dass ein ganzes Land spekulierte. Gerade am Immobilienmarkt wurden zuletzt Wohnungen fast nur noch in der Erwartung gekauft, sie wenig später teurer weiterverkaufen zu können. Mit dieser Praxis ist nun Schluss.

Doch damit droht auch das Wachstumsmodell Chinas in Bedrängnis zu geraten. Folglich reagiert die Regierung nun hektisch. Seit Anfang der Woche kauft ein Staatsfonds Bankaktien auf, um die offiziellen Institute zu stützen. Am Mittwoch kündigte Peking zudem an, einerseits gegen die Untergrundbanken vorgehen zu wollen, andererseits aber den kleinen und mittleren Firmen den Zugang zu offiziellen Krediten zu erleichtern. “Große Aufmerksamkeit ist notwendig”, erklärte der Staatsrat dazu. Das wird niemand bestreiten.

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