Das Erbrecht

Das Erbrecht

FRANKFURT, 26. Juli. Die Scheidungsquote in Deutschland steigt und steigt. Immer mehr Ehepartner lassen sich scheiden, manche sogar mehrmals. Viele beugen dem vor, indem sie sich in eine informelle Lebenspartnerschaft ohne Trauschein begeben. Diese wird dann ebenso wenig formell durch Verkürzung auf eine Lebensabschnittspartnerschaft beendet. Manchmal wird doch noch geheiratet, insbesondere wenn ein gemeinsames Kind geboren wird. Die damit verbundenen familienrechtlichen Veränderungen beeinflussen automatisch auch das Erbrecht; meistens ohne dass der Laie es erkennt.

Das Familienbild wandelt sich von der bürgerlichen Ehe mit vereinzelter Scheidung als Ausnahme zur formlosen PatchworkFamilie ohne jede Formalität. Verließ früher regelmäßig der Ehemann seine Ehefrau mitsamt den gemeinsamen Kindern, so ist es heute häufig so, dass die Ehefrau die Trennung anstrebt, oftmals auch unter Zurücklassung der Kinder. Nach der Scheidung ist das Leben nicht vorbei. Die früheren Ehepartner und jetzigen Scheidungsgegner gehen heutzutage alsbald neue Verbindungen ein, oft sogar schon vor der Scheidung. Aus den neuen Verbindungen werden weitere Kinder geboren; dazu kommen Kinder aus früheren Verbindungen des neuen Partners. Die so gebildete neue Familie zeigt dann nebeneinander: meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder. Im Hintergrund gibt es Stiefgeschwister und Stiefeltern, aber auch Enkelkinder und Großeltern. Soziologisch spricht man von Heirats und Scheidungsketten, von Fortsetzungsehen und Mehrelternfamilien.

Will man im Rahmen einer Erbfolgeplanung dieses Beziehungsgeflecht bändigen, findet man sich häufig in einem “Tohuwabohu” wieder. Das Erbrecht fußt nämlich in bestimmten Teilen auf dem Güterrecht. Dieses reguliert aber nicht nur bei Scheidungen und Erbfällen die Aufteilung des in der Ehe gemeinsam erarbeiteten Familienvermögens. Es beeinflusst außerdem oft übersehen die Erbquote der Beteiligten. Wer im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat, erhält als länger lebender Ehegatte beim Tode des zuerst versterbenden Ehepartners schon von Gesetzes wegen eine höhere Quote am Nachlass; die Kinder eine geringere. Haben die Ehegatten aber den Güterstand der Gütertrennung vereinbart, ist vom Partner nicht nur güterrechtlich nichts zu holen. Im Erbfall ist außerdem die Erbquote des Ehegatten geringer, die der Kinder höher. nderungen des Güterstandes schlagen deshalb zweimal zu, und zwar gleichgerichtet: einmal bei der Teilhabe am güterrechtlichen Familienvermögen, daneben bei der Erbquote.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Der Ehemann lässt sich scheiden. Er lässt seine Ehefrau und den gemeinsamen Sohn zurück und zieht bei seiner Assistentin ein, die eine Tochter von ihm erwartet. Nach der Scheidung von seiner Ehefrau verstirbt der Ehemann. Auf Grund seiner schlechten Eheerfahrung hatte er die Assistentin noch nicht geheiratet. Ein Testament wurde nicht errichtet, weil dem Ehemann hierfür die Zeit noch nicht gekommen schien. Nach den gesetzlichen Regelungen erben ohne Ehe oder eingetragene Partnerschaft nun die zwei Kinder des Mannes aus den beiden Verbindungen. Ihre Erbquote beträgt jeweils 1/2.

Als gesetzliche Erben fallen die beiden Kinder automatisch in eine Erbengemeinschaft, eine hochproblematische Verfahrensvorschrift, die stark streitanfällig wirkt. Sind die Kinder noch minderjährig, werden ihre Interessen in der Erbengemeinschaft von den jeweiligen Müttern vertreten. Beschlüsse in der Erbengemeinschaft, etwa über Verwaltungsmaßnahmen für das betroffene Nachlassvermögen oder erst recht zu ihrer Auseinandersetzung, können grundsätzlich nur einstimmig getroffen werden. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, was das in dem Beispielszenario für Folgen hat. Nicht selten steht die öffentliche Versteigerung des Nachlasses oder jedenfalls einzelner Nachlassteile am Ende einer solch missglückten Erbfolge.

Hätte der Vater noch auf dem Totenbett ein Testament errichtet, in dem er seinen Sohn enterbt, würde dessen Quote auf die Hälfte der erbrechtlichen VollQuote schmelzen, also auf 1/4 des Nachlasswertes, dann allerdings als Pflichtteilsanspruch, der in bar auszuzahlen ist. Die zusätzliche Anordnung einer Testamentsvollstreckung hätte darüber hinaus wenigstens das unmittelbare Aufeinandertreffen der Beteiligten verhindert. Hätte der Vater seine Scheu vor der Ehe überwunden und seine neue Lebensgefährtin geheiratet, wäre der gesetzliche Erbanspruch des Sohnes aus erster Ehe auf 1/4 des Nachlasses geschrumpft und sein Pflichtteilsanspruch sogar auf 1/8. Hätte der Vater außerdem noch ein Kind seiner neuen Ehefrau aus einer früheren Bindung adoptiert, so hätte sich die Erbquote des Sohnes aus erster Ehe auf 1/6 und sein Pflichtteilsanspruch auf 1/12 reduziert.

Der Beispielsfall zeigt nicht nur die Gestaltungsmöglichkeiten des geschiedenen Ehegatten zur Reduzierung von (Pflichtteils)Ansprüchen seiner Kinder, er verdeutlicht außerdem, auf welch wackligen Beinen der Erbanspruch eines Scheidungskindes steht. Problematisch ist außerdem, dass das während der ersten Ehe vom Vater erwirtschaftete Vermögen, das im Rahmen der Ehescheidung zunächst auf die geschiedene Ehefrau übergegangen ist, in der Folgezeit zwar gegebenenfalls auf den Sohn aus erster Ehe, nicht jedoch auf die Kinder des Vaters aus weiteren Verbindungen übergehen wird. Außerdem erfolgt die Vermögensteilhabe der Scheidungskinder erst zu einem relativ späten Zeitpunkt, nämlich beim Tode des jeweiligen Elternteils. Typischerweise benötigen Scheidungskinder aber schon zu einem früheren Zeitpunkt dringend Geld, etwa zur Finanzierung einer Ausbildung, eines Eigenheims oder einer Existenzgründung. Schließlich wirken sich die auf diese Weise latent bestehenden gegenseitigen Ansprüche recht negativ auf das persönliche Verhältnis der Beteiligten aus.

Eine frühzeitige Regelung etwa anlässlich der Eheschließung durch Ehevertrag und testamentarische Regelungen wäre sicherlich ratsam. Sie wäre allerdings kaum in der Lage, alle zukünftigen Eventualitäten angemessen zu berücksichtigen und für alle Wechselfälle des Lebens die jeweils optimale Lösung vorzusehen. Erfolgversprechender ist da eine Variante, in der die Scheidungskinder bereits frühzeitig, dann allerdings viel kleinere Vermögenswerte erhalten, so wie dies früher gesetzlich für nichteheliche Kinder vorgesehen war. Auch versicherungsrechtliche Lösungen sind denkbar. In jedem Fall müssen solche Lösungen durch umfassende vertragliche Regelungen, zu denen dann auch notariell beurkundungsbedürftige Pflichtteilsverzichte der abgefundenen Kinder gehören, abgesichert werden.

Die Quintessenz: Spätestens zu Beginn des Scheidungsverfahrens ist eine testamentarische Regelung der Erbfolge erforderlich. Allerdings ist zu diesem Zeitpunkt das emotionale Klima denkbar aufgeheizt. Der Versuch, entsprechende Regelungen bereits im Ehevertrag vorzusehen, scheitert meistens, so dass man in Fachkreisen auch von Versterbenslotterie spricht.

Teil I der Serie “Nach der Selbstanzeige kommt ein neues Testament” erschien am 13. Juli und Teil II “Schenkung und Familienstiftung als Vermögensschutz” am 20. Juli.

Hans Flick ist Gründer und Wolfgang Onderka Partner der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg, Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater mit Sitz in Bonn Berlin Frankfurt/Main und München.